von
Prof. Dr. med. Ingo Füsgen, Lehrstuhl für Geriatrie der Universität
Witten/Herdecke, 2. Vorsitzender der Gesellschaft für
Inkontinenzhilfe (GIH)
Blasenentleerungsstörungen
in Form von vermehrtem Harndrang, Pollakisurie und Nykturie gehören
zu den vegetativen Störungen, die ein Parkinson-Syndrom häufig
begleiten. An ihrer Spitze steht das nächtliche Wasserlassen, gefolgt
von der Drang-Inkontinenz, bei der besonders die Miktionseinleitung
schwer fällt. Eine Schwäche der Blasenschließmuskulatur ist meist
erst im späteren Verlauf einer Parkinson-Erkrankung zu beobachten.
Bei einer willkürlich eingeleiteten Blasenentleerung fließt der Harn
dann deutlich vermindert. Restharn sammelt sich meist dann an, wenn
die Blasenschließmuskulatur durch anticholinerg wirkende
Anti-Parkinsonmittel hypoaktiv reagiert. Noch immer ungeklärt ist die
Frage, inwieweit es Zusammenhänge zwischen einem bestimmten
Inkontinenztyp und speziellen Verlaufsformen der Parkinson-Krankheit
gibt (akinese- oder tremordominant). Von Miktionsstörungen im Rahmen
der klassischen Parkinson-Erkrankung sind solche Miktionsstörungen zu
unterscheiden, die ebenfalls mit parkinsonähnlichen Symptomen
einhergehen, aber ihre eigene Ätiologie haben.
Differentialdiagnostisch am bedeutsamsten ist in diesem Zusammenhang
die sog. Multisystematrophie (MSA). Bei ihr degenerieren Neuronen
selektiv im Onuf´schen Kern des Sakralmarks. Die dadurch gestörte
Sphinkerfunktion verändert vielfach schon frühzeitig das
Sphinkter-EMG in typischer Weise.
Bei Miktionsstörungen
Parkinson-Kranker kann es sich um die Folgen
·
des Grundleidens,
·
anderer (urologischer) Erkrankungen (z.B. einer subvesikalen
Verengung bei gutartiger Prostatahypertrophie) oder
·
der medikamentösen Therapie (Anticholinergika, L-Dopa)
handeln. Diagnostisch
sind meist folgende Untersuchungen angezeigt:
·
Basisuntersuchung mit neurologischem Schwerpunkt,
·
urodynamische Diagnostik,
·
Überprüfung der laufenden Arzneimitteltherapie.
Während die therapeutischen
Möglichkeiten bei einer Multisystematrophie meist eingeschränkt
sind, sprechen imperativer Harndrang und nächtliches Wasserlassen bei
einem Morbus Parkinson oft gut auf Anticholinergika an. Auch
subvesikale Harnröhrenverengungen sind dann erfolgreich zu sanieren,
wenn die Blasenschließmuskulatur normal arbeitet. Ist deren Aktivität
dagegen erhöht, erscheint das weitere Vorgehen komplizierter, da
mindestens zwei konkurrierende Ursachen in Betracht kommen: 1. eine
obstruktions- (also mechanisch) bedingte Detrusorinstabilität und 2.
eine neurogen bedingte Hyperreflexie. Bei einem rein neurogenen
Vorgang wäre eine operative Korrektur der benignen
Prostatahypertrophie kontraindiziert, da sie eine Reflexinkontinenz
zur Folge hätte. In diesem Fall erscheint es aussichtsreicher, die
Blasenschließmuskulatur mittels Anticholinergika ruhig zu stellen und
die Blase via Katheter zu entleeren. Ist dagegen der Detrusorreflex
bei einem Parkinson-Kranken abgeschwächt und wird die Blase nur
unvollständig entleert (Restharn), kann man die Miktion am ehesten
dadurch verbessern, daß man die Dosis eventuell eingenommener
anticholinerger Anti-Parkinson-Medikamente verringert und die Dosis
dopaminerg wirkender Arzneimittel anpaßt.